Das waren noch Zeiten, als die Damen im Sommer elegant in Pumps und Kleid durch die Stadt flanierten und nicht in Flipflops und Jogginghosen….
Keine Sorge, ich habe mich nicht diesen Menschen angeschlossen, welche die „gute alte Zeit“ romantisieren. Frei nach dem Motto „Vintagte style, not vintage mind“ ist mir wohl bewusst, dass die Fifties zumindest im Deutschland der Nachkriegszeit für die Menschen oft wenig romantisch waren und dass damals auch viele Leute schlecht bekleidet waren – Viele sogar unverschuldet.
Heute geht’s aber nicht um Modefails der Vergangenheit, sondern es geht direkt in den Sommer mit diesem tollen Schnittmuster aus Beyer’s Handarbeit und Wäsche Heft 5/1952
Mit diesem Kleid fängt man besser im Winter schon an, damit es im Sommer fertig wird! Auf der Heftseite sieht man oben im Bild eine Nahaufnahme der selbstgestickten Bogenkante.
Der Schnitt
Das Oberteil besteht aus Vorder- und Rückenteil und einem Kragen. Die Teile werden mittels Wiener Nähte auf Figur gebracht. Vorne wird es mit Knöpfen geschlossen. Was die Größe angeht, so kommt es mal wieder in „Oberweite 92“, was grob einer heutigen Größe 38 entspricht. Benötigt die geneigte Hobbyschneiderin eine andere Größe, musste sie den Schnitt selbst entsprechend skalieren. Ich bin nachwievor immer wieder fasziniert davon, dass die Hausfrau der Fünfziger Jahre diese Technik offenbar beherrscht hat. Ich könnte das jedenfalls nicht.
Wie näht man das?
Die Näharbeiten des Oberteils sind nicht weiter kompliziert. Wiener Nähte zusammenfügen, Schulternähte einnähen, Ärmellöcher mit Schrägband verstürzen. Dann kommt der Kragen dran: Auch der wird mit Schrägband versäubert. Danach soll man ihn mithilfe einer „angepaßten Formblende dem Halsausschnitt einsäumen“ – Was das genau bedeuten soll, ist ein kleines Rätsel. Was genau diese Formblende ist und wie da was gesäumt wird, muss ich wohl erstmal recherchieren, wenn ich diesen Schnitt jemals nähen möchte.
Sticken, Sticken, Sticken
Ganz ehrlich – Ich habe zuletzt in der Grundschule gestickt, mit Kreuzstich! Die Vorstellung, 2,20m Stoff mit 8 Bogenlinien zu besticken, also insgesamt mehr also rund 18m Sticknaht, erscheint mir ziemlich grauselig. Da muss ich nicht nur im Winter anfangen, sondern zwei Jahre vor dem geplanten Sommer! Dazu kommt dann noch die Lochstickerei. Wenn ich übrigens nach „Langett“-Stich google, bekomme ich nicht die gezeigten nebeinanderliegenden Stiche aus dem Heft, sondern eine Techniken die aus je 2 Flachen und einem langen Stich besteht und damit ein eher zackiges Muster ergibt, siehe hier.
Was nicht in der Anleitung steht…
Wie so oft in alten Magazinen gingen die Herausgeber davon aus, dass die gute deutsche Hausfrau über ordentliche Nähkenntnisse verfügte. Deswegen möchte ich noch ein paar Dinge erwähnen, die irgendwo zwischen dem „anfügen“ und „einsäumen“ passieren müssen:
- Welchen Stoff verwendet man eigentlich für dieses Kleid? Die Anleitung enthält zwar eine Mengenangabe, aber keinerlei Hinweis ob man dafür Batist, Popeline oder Leinen verwenden soll.
- Die Knopfleiste muss mit Bügeleinlage verstärkt werden. Ich persönlich verstärke bei solchen Kleidern auch gerne zusätzlich noch die Schulternähte
- Was ist der Unterschied zwischen Formstreifen und Schrägstreifen?
Geht das heute nicht einfacher???
Würde ich das Kleid heute nähen, würde ich mich für eine optimale Passform und etwas mehr Geschwindigkeit bei der Verarbeitung ein paar moderner Techniken bedienen, die es 1952 noch nicht gab:
- Die Stickerei würde ich komplett mit der Nähmaschine ausführen. Ich bin ein sehr geduldiger Mensch, aber ich glaube weder dass ich jahrelang an einem Kleid sticken könnte, noch dass ich das richtig gleichmäßig hinbekommen würde. Ich finde die Idee mit der Lochstickerei aber ganz reizvoll, vielleicht werde ich das mal ausprobieren.
- Ungewöhnlich für diese Zeit ist der seitlich eingearbeitete Reißverschluss. Kleider in dieser Form wurden oft mit den Knöpfen vorne geschlossen und die Taille wurde so weit belassen, dass man das Kleid noch über den Kopf ziehen konnte. Das hatte zur Folge, dass man es in der Taille nur durch einen Gürtel richtig auf Figur bekam. Was es damals allerdings noch nicht gab, sind nahtverdeckte Reißverschlüsse aus Kunststoff. Und genau so einen würde ich heute in die Seitennaht einsetzen
[…] Schon bei dem ersten Schnitt aus diesem Heft, über den ich im letzten Jahr geblockt habe (Siehe hier), ging es um diese mysteriöse „Formblende“. Noch immer ist es mir ein völliges […]