Auf diesem Schnitt muss ein Fluch liegen. Sorgfältig verstürzte ich den rückwärtigen Ausschnitt mit dem Futterstoff, steppte die Schulternähte und smokte den mittleren Rückenteil. Ich fügte die oberen und unteren Teile zusammen, setzte die Ärmel ein und machte mich bereit für die erste Anprobe.
Es war als schnelles, einfaches Projekt geplant. Ich hatte den süßen, gelben Punktestoff im Sommer bei meinem lokalen Stoffdealer entdeckt und beschlossen, mir daraus noch schnell ein luftiges Kleid für die letzten warmen Tage zu zaubern. Doch dann kam alles ganz anders. Nicht nur, dass die „warmen Tage“ ausgeblieben sind, auch beim Nähen war es wie verhext.
Der Schnitt
Manchmal glaube ich, ich leide an Näh-Amnesie. Kaum habe ich ein Projekt erfolgreich abgeschlossen, vergesse ich vor Glück und Stolz direkt, wie schwierig es gewesen war. Die ganzen Details rund um Passformprobleme, Fehler im Schnittmuster oder schwierige Stoffe sind dann wie weggefegt.
Das Schnittmuster stammt aus der Burda Easy Fashion F/S 2014. Im April hatte ich es bereits genäht und das fertige Kleid gefiel mir so gut, dass ich unbedingt noch eines von dieser Sorte machen wollte.
Soweit so gut, den Schnitt hatte ich ja bereits in mühsamer Handarbeit unter Aufwendung vieler Probeteile angepasst. Da konnte ja nichts mehr schiefgehen, oder?
Hier kannst Du nachlesen, was ich am Schnitt verändert habe, bis er endlich richtig gepasst hat.
Das Material
- 2m gepunkteten Batist, gekauft im Stoffcentrum Neustadt
- 12 Knöpfe, teils vom Stoffcentrum, teils aus meinem eigenen Knopf-Fundus
- Bügeleinlage weiß
- Futterseide weiß
Im Gegensatz zum Modell im Heft habe ich auf die Spitzenborte verzichtet und statt der Flügelärmel eine Variante mit ¾ Ärmeln genäht. Die Aufschläge an den Ärmeln habe ich selbst dazu entworfen. Auch den Rock habe ich im Gegensatz zum schwarzen Kleid ein bisschen weiter und schwingender gemacht, da er so etwas mehr Bewegungsfreiheit verspricht und dieser Stil auch besser zu dem leichten, schwingenden Baumwollbatist passt.
Lasercat und der Fluch des Rückenausschnitts
Das Raffinierte an diesem Kleid ist der Ausschnitt am Rückenteil. Ein geniales Teil, das dem Kleid das gewisse Etwas verleiht. Viele haben ihn schon gewollt, nur wenige gemeistert. Näht man den Rückenausschnitt genau wie im Schnitt angegeben, steht er auf Höhe der Schulterblätter nach außen ab. Egal wie man das Kleid zieht und wendet, die Seiten der Öffnung stehen nach Außen, anstatt sich an den Rücken zu schmiegen.
Dank harter Arbeit und guter Recherche gelang es mir, die Schulterpartie des Kleids so abzuändern, dass der Ausschnitt endlich am Rücken lag. Dies gelang durch eine Verkleinerung der Schulterpartie und rückwärtigen Abnähern im Schulterteil, welche die „Kurve“ der Schulterblätter an den Stoff weitergeben.
Soweit so gut – Nun wollte ich es also nochmal tun. Der Schnitt war ja angepasst, also sollte ja alles perfekt sitzen, oder?
Die erste Anprobe
Schon an der Schneiderpuppe sah ich, dass der Rückenausschnitt nicht passte. Als ich das sorgfältig zusammgenähte Oberteil dann selbst anzog, kam der Schock: Das Rückenteil stand ab – Genau wie bei meinem allerersten Probeteil. Die Abnäher hatte ich genau gleich gesetzt wie beim schwarzen Kleid, aber sie hatten versagt. Ich konnte mir das nicht erklären. Bei dem schwarzen Kleid hatte doch am Ende alles so perfekt gepasst?!
Nur mal so zum Vergleich. Das ist der fertige Rückenteil des schwarzen Kleids, genäht nach genau dem selben Schnittmuster:
Ich war nun so frustriert, dass ich erstmal keine Lust hatte, weiter an dem Kleid zu arbeiten. Also steckte ich es auf die Schneiderpuppe und stelle es in die Ecke. Nun wollte ich mich endlich wieder weniger ärgerlichen Nähprojekten widmen!
Trotzdem ließ mir das gelbe Kleid keine Ruhe. Es mag an der auffälligen Farbe liegen oder daran, dass ich einen Hang zu kniffligen Rätseln habe. Im Juni hatte ich noch genug andere Nähprojekte um mich abzulenken, im Juli beruflich so viel Stress, dass ich kaum zum Nähen kam. Als dann also der Spätsommer nahte, sah mich das gelbe Ding immer noch jeden Tag vorwurfsvoll von der Schneiderpuppe in der Ecke aus an. Da beschloss ich, dass es Zeit war, dieses Projekt doch wieder in Angriff zu nehmen.
Dreimal hin, dreimal her
Ich möchte Euch nun nicht mit meinen Flüchen und Fehlversuchen langweilen, die es brauchte, damit das Kleid am Ende halbwegs gepasst hat. Fakt ist: Ich habe das Oberteil dreimal wieder aufgetrennt und wieder zusammengenäht. Den Rückenausschnitt habe ich sogar noch einmal neu zugeschnitten, weil der Stoff nach dem zweiten Auftrennen löchrig und verzogen war. Am Ende ergab sich eine halbwegs passable Passform, auch wenn ich immer noch nicht so hundertprozentig damit zufrieden bin.
Die Lösung des Rätsels
Du willst jetzt vermutlich wissen: Ja warum hat das Kleid denn jetzt nun nicht richtig gepasst? Die Erkenntnis kommt hier, kurz und knapp:
- Der Stoff: Mein schwarzes Kleid besteht aus einem festen, dicken Baumwollstoff mit einem geringen Stretch-Anteil. Er fällt nicht so weich wie der gelbe Stoff, ist etwas dicker und verzieht sich überhaupt nicht. Der gelbe Stoff hingegen ist leichter gewebt und nicht elastisch, das heißt er neigt dazu, sich zu verziehen. Genau das ist hier passiert
- Die Schulterabnäher wurden durch das Gewicht der Naht nach unten gezogen, so dass sie nicht mehr richtig saßen.
- Der Futterstoff: Ich habe das Oberteil mit weißer Futterseide gefüttert. Diese war vom Gewicht her allerdings etwas zu dick für den leichten Batist, was dazu geführt hat, dass das Futter den Schulterteil nach unten gezogen hat. Da das Futter etwas steifer ist als der Stoff, blieb der Ausschnitt nicht an Ort und Stelle, sondern wendete sich immer wieder nach außen
Als ich schließlich erkannte, dass mein Problem nicht der Schnitt, sondern die unglückliche Stoffauswahl war, verlor ich fast schon wieder die Motivation. Da das Kleid ja schon zugeschnitten war, konnte ich den Stoff ja nicht mehr anderweitig verwenden. Zerschnitten ist zerschnitten. Alle weiteren Näharbeiten waren dann nur noch „Schadensbegrenzung“.
- Ich habe die oberen Rückenteile wo es ging mit Bügeleinlage verstärkt, um dem Stoff etwas Stand zu geben
- Ich habe die oberen Rückenteile noch einmal seitlich und nach unten hin etwas gekürzt und die „Kurve“ etwas flacher gemacht.
- Die Abnäher habe ich ein Stück weiter Richtung Mitte positioniert
- Das Futter habe ich an den Kurven an der Nahtzugabe nochmal festgenäht, damit die verstürzte Naht sich stärker nach innen wendet
Vor lauter Ärger…
… habe ich total vergessen den eigentlich schönsten Teil dieses Projekts zu dokumentieren. Wie ich oben bereits schrieb, habe ich dieses Mal eine Variante mit 3/4 Ärmeln genäht und als kleines Detail noch einen Aufschlag mit Knopf an die Ärmel angefügt. Den Aufschlagsteil habe ich selbst entworfen. Wie so ein Aufschlag grundsätzlich gearbeitet wird, wusste ich noch von dem Hosenteil meines Jumpsuits, daher habe ich die Ärmelaufschläge einfach genau so konstruiert, nur eben schmaler.
Fazit
Dieses Kleid ist jetzt schon das Dritte in diesem Jahr, das mich massiv Nerven gekostet hat. Geplant als kleines Zwischenprojekt für den Spätsommer, entwickelte es sich zum Fluch meines Nähzimmers und lieferte mir mehr als einen Frustmoment. Daher war der Spätsommer auch schon lange vorbei, als es endlich fertig war. Am Ende hatte ich den Fluch gebrochen, aber so richtig zufrieden bin ich dennoch nicht damit. Immerhin habe ich aber jetzt endlich ein Teil, das zu meinen geilen, gelben Schuhen passt. 🙂
Das Wetter um dieses Kleid ohne Jäckchen zu tragen ist jedenfalls vorbei. Einen der letzten warmen Nachmittage habe ich noch für Fotos genutzt.
So schön ich dieses Schnittmuster auch finde, habe ich doch beschlossen, dass ich es nicht mehr nähen möchte. Wer weiß, was passiert wenn ich nun wieder einen anderen Stoff verwende? Vermutlich passt dann gar nichts mehr. Vielleicht werde ich mir im nächsten Jahr einen eigenen Schnitt in einem ähnlichen Stil zusammenbasteln.
Wenn Du dennoch diesen Schnitt ausprobieren möchtest, kann ich Dir folgende Tipps mit auf den Weg geben:
- Mach ein Probeteil, plane am besten schonmal zwei oder drei
- Das Probeteil sitzt nur richtig, wenn auch das untere Oberteil für die Anprobe angenäht ist und eine Knopfleiste. Sonst siehst DU nicht, ob es richtig passt
- Schulterabnäher an der Rückseite helfen, die „Kurven“ des Schulterblatts auf dem Stoff darzustellen
- Dieser Schnitt ist NICHT für dünne und leichte Stoffe geeignet.
Ich starte dann mal durch in den Herbst, frei von dem verfluchten gelben Kleid und nähe erstmal wieder was Schwarzes 🙂
Eure Lasercat
Verlinkt bei DufürDich am Donnerstag
Was für ein unterhaltsamer Text, liest sich super und ist so anschaulich und lehrreich. Das Kleid – cool!!! Steht Dir hervorragend – wie immer. und was für Fotos – obgleich hervorragend erklärt, illustrieren sie das Dilemma auf beste Weise
Tausend Dank also für diesen in jeder Hinsicht fantastischen Beitrag!!
PS: kenne solche Aktionen nur zu gut – hab‘ mich wiedergefunden.
Herzliche Grüße
Der Aufwand und der Ärger scheinen sich gelohnt zu haben: Das fertige Kleid sieht wirklich toll aus!
Und der nächste Sommer kommt bestimmt!
LG
Natalie
Uh, ich leide mit! Das Kleid ist toll geworden! Für solch einen Schnitt sollte man am besten einen persönlichen Grundschnitt haben, um es abzugleichen. Würde mich direkt reizen, denn es ist echt süß. Regina
Ein wunderschönes Kleid! Meine Güte, das hat ja Nerven gekostet – ich glaube, ich hätte das Oberteil irgendwann so umdesignt, dass es ohne den Rückenausschnitt auskommt oder gleich ein anderes Oberteil genommen 😀
Hat sich aber wirklich gelohnt! Und ich bin sowohl ein Fan von Ärmelaufschlägen als auch von diesen Schuhen 🙂
Die richtige Stoffwahl ist meiner Erfahrung nach echt DER wichtigste Faktor für den Erfolg beim Nähen – bzw. bei mir in den meisten Fällen der Hauptgrund, warum ein Kleidungsstück nicht so recht funktioniert. Leider weiß man das halt nicht immer vorher …