Ich liebe es, wenn nach langer Planung und harter Arbeit etwas Großartiges entsteht – Und noch mehr wenn ich es mit meinen eigenen Händen geschaffen habe. So geht es mir mit diesem Kleid. Dieses Schnittmuster hat mich wirklich Zeit und Nerven gekostet. Ich war nicht einmal sicher, ob ich es überhaupt jemals fertigstellen könnte. Von einem Schnitt, der so gar nicht passen wollte, hin zu einem perfekt sitzenden Vintage-Kleid mit Rückenausschnitt und Knopfleiste.

Das Schnittmuster

Nur selten nähe ich ein Kleid genau so nach wie auf dem Bild im Magazin. Aber dieses Mal ist es doch passiert. Das Vintage-Kleid mit der Spitzenborte aus der Easy Fashion F/S 2014 hat mich derart begeistert, dass ich es genau so nachnähen wollte.

Es ist ein Retro-Inspiriertes Modell mit weitem, leicht herzförmigen Ausschnitt, das mit Wiener Nähten auf Figur gebracht wird. Vorne wird es mit durchgehenden Knöpfen geschlossen. Das Besondere an diesem Kleid sind die vielen Details:

  • Geschwungener Rückenausschnitt
  • Smock-Einsatz am Rückenteil
  • Halbrunde, sichtbare Tascheneingriffe vorne
  • Kleine Flügelärmel mit Spitzenborte, die raffiniert am Futter befestigt ist
  • Sehr breiter Spitzenbesatz am Saum

Vorderteil anpassen mit Full Bust Adjustment

Das Kleid wird in der Easy Fashion extra als eines beschrieben, das „bei Frauen mit größerer Oberweite gut aussieht“. Leider ist bei Burda Schnitten eine „größere Oberweite“ niemals mehr als ein C-Körbchen. Deshalb musste ich mit meinen 70E einige Anpassungen vornehmen.

Da ich einen recht schmalen Oberkörper habe, aber viel Brust, habe ich die kleinstmögliche Größe anhand der Taillen- und Schulterweite ausgewählt. Das war lt. Maßtabell die 36. Nach einem kurzen Durchmessen des Schnitts stellte ich fest, dass die Schulterlänge auch gut passt. Bei der Länge des Oberteils selbst war ich hingegen etwas unsicher, dazu aber später mehr.

Das Oberteil wird mit Wiener Nähten, also vertikalen Teilungsnähten auf Figur gebracht. Um dem Oberteil an der Brust mehr und der Taille etwas weniger Weite zu geben, habe ich das sog. „Full Bust Adjustment“ angewendet, eine Technik aus der Schneiderei. Wie das genau funktioniert, könnt ihr hier in der Anleitung von „Beswingtes Allerlei“ nachlesen, das ist definitiv die beste und ausführlichste deutsche Anleitung rund um das Thema „Full Bust Adjustment“.

Tipp: Die meisten Schnittmuster sind auf Körbchengrößen zwischen B und C ausgelegt. Bei allen Größen darüber oder darunter ist eine Anpassung des Schnittmusters notwendig, damit das Kleidunggsstück am Ende richtig sitzt und nicht absteht, spannt oder ungewollte Falten wirft.

Nach der Anpassung des Vorderteils am Schnitt habe ich dann mein erstes Probeteil aus einem alten Stoffrest genäht.

Schnittanpassung Level 2 oder DAS VERDAMMTE RÜCKENTEIL

Als ich das Probeteil anzog und mich vor den Spiegel stellt, war ich zuerst recht zufrieden. Am Oberteil vorne saß alles so, wie es sitzen sollte. Ein paar Kleinigkeiten musste ich noch abändern, aber dann sollte alles passen. Als ich mich dann aber umdrehte, um den schönen Rückenausschnitt zu bestaunen, verflog die Begeisterung.

Das Rückenteil passt so gar nicht. Das mittlere Rückenteil saß viel zu hoch und die Teilungsnähte an den falschen Stellen. Doch was am Schlimmsten war: Der geschwungene Rückenausschnitt stand vom Rücken ab, wie zwei gebrochene Flügel. Das sah keineswegs so elegant aus, wie auf dem Bild in der Zeitschrift!

Meine ersten Anpassungsversuche

Am Anfang ließ ich mich noch nicht entmutigen und war mir sicher, ich könnte das abstehende Rückenteil schnell und einfach anpassen. Da ich an mir selbst von hinten nichts abstecken kann, pinnte ich das Oberteil auf meine treue Schneiderpuppe und begann, den „überflüssigen“ Stoff am Rückenausschnitt einfach am Stoff und am Papierschnitt „wegzufalten“. Diese Technik hatte bei mir bisher bei Oberteilen ganz gut funktioniert. Nachdem das Papier an der Schulter der Puppe glatt lag, schnitt ich den Rückenteil nochmal aus und nähte das nächste Probeteil.

Frohen Mutes startete ich die Anprobe: Nun sollte doch alles passen, oder?
Die Enttäuschung folgte auf dem Fuße: Das Rückenteil wurde durch den kürzeren Rückenausschnitt noch weiter nach oben gezogen, so dass der untere Rückenbereich jetzt direkt unter den Achseln hing – Und der verflixte Ausschnitt stand immer noch vom Rücken ab.

Wie ich den Schnitt vollkomen verunstaltet habe

Also begann ich – jetzt schon leicht genervt – Den Schnitt noch einmal zu überarbeiten. Ich gab dem hinteren Obeteil wieder Länge dazu, nahm in der Mitte wieder Länge weg, versetzte den Halsausschnitt nach unten und faltete das Papier am Armausschnitt wieder auseinander.

Habe ich bereits erwähnt, wie aufwendig es ist, für diesen Schnitt ein Probeteil zu machen? Hier kann man nicht einfach die Schulternähte zusammenstecken und dann direkt anprobieren – Oh nein! Um zu sehen, ob alles richtig sitzt muss das Vorderteil mit Knopfleiste richtig zusammengenäht sein, dann folgt das obere und das untere Rückenteil. Nur durch den „Zug“ des unteren Oberteils am oberen lässt sich sehen, ob alles richtig sitzt. Ich habe für die Anprobe sogar noch einen Rock drangesteckt, um das Gewicht des ganzen Kleides realistisch abzubilden

Beim dritten Probeteil arbeitete ich extra exakt, weil ich glaube, die fehlende Passform an den Schultern läge vielleicht an unsauberem Arbeiten meinerseits. Ich habe sogar den Halsausschnitt und die Ärmelchen versäubert! Bei der Anprobe war ich etwas angespannt – Immerhin hatte ich das Oberteil jetzt schon dreimal genäht ?!

Nun machte sich bei mir Zorn breit – Das Oberteil passte nämlich immer noch nicht. Zwar saß das untere Rückenteil nun gut, der Rückenausschnitt war aber jetzt nicht mehr schön geschwungen, sondern sah aus wie gerade abgeschnitten und er stand immer noch ab. Danach warf ich es erstmal wütend in die Ecke und beschloss, erstmal was anderes zu nähen.

Eine Woche später…

Kann ein Schnittmuster einem schlaflose Nächte bereiten? Wenn es um Nähprojekte geht, bin ich eigentlich nicht bereit, eine „Niederlage“ zu akzeptieren. Nach einigen Tagen hatte sich die Wut bei mir gelegt. Ich nähte tatsächlich erstmal was anderes, ein paar Pullover fürs Kind, einen einfachen Bahnenrock für mich und plante schon das nächste Kleid. Doch immer wieder meldete sich eine kleine Stimme in meinem Kopf, die mich an das unfertige Projekt erinnerte.

Ich begann mich zu fragen„Warum ist das in einem EASY Fashion Magazin, wenn es für die Anpassung offensichtlich einen Schneidermeister benötigt?“ und „Was habe ich übersehen?“

Am Ende legte ich „meinen“ Schnitt auf das Original auf dem Schnittmusterbogen und musste feststellen, dass ich ihn vollkommen verunstaltet hatte. Kein Wunder, dass da nichts mehr richtig saß!

Letzten Endes brauchte ich Hilfe – Nicht wegen Stimmen in meinem Kopf, sondern für das Kleid. Also fragte ich in einer meiner Lieblings-Facebookgruppen um Rat. Dort sind einige sher erfahrene Hobbyschneiderinnen und auch einige mit Schneider-Ausbildung unterwegs, die sich mit allen Arten von Nähproblemchen auskennen.

Ein Abnäher wo?!

Hilfe bekam ich dann von einer richtigen gelernten Schneiderin.  Sie erkannte das Passformproblem direkt beim ersten Foto – Da wäre ich niemals drauf gekommen!

Im Gegensatz zu meiner Schneiderpuppe, die hinten am Rücken ja recht „flach“ ist, befinden sich bei mir unterhalb der Schulten die Schulterblätter, die ein wenig herausstehen. Dadurch entsteht genau dort, wo der geschwungene Rückenausschnitt sitzen soll, eine „Erhebung“ die dafür sorgt, dass es den Ausschnitt hochdrückt und er absteht.

Und was macht man um eine „Kurve“ in einen nicht-elastischen Stoff zu nähen? Richtig – Einen Abnäher! Ich habe noch niemals ein Kleidungsstück mit einem Abnäher hinten an der Schulter gesehen, im ersten Moment erschien mir der Vorschlag schon etwas abwegig. Ich hab doch hinten keine Brüste, da brauch ich doch keinen Abnäher!

Doch dann habe ich es doch ausprobiert: Ich habe den Schnitt nochmal abgepaust und den Abnäher eingezeichnet. Er läuft von der Mitte der Schulternaht bis ca. 1-2cm vor die Spitze des Schulterblatts. Dann ging es an das vierte Probeteil. Ich war mehr als skeptisch: Würde das mit dem Abnäher passen und nach was aussehen?

Das Ergebnis sehr ihr hier selbst:

Tatsächlich sitzt das Rückenteil nun perfekt. Unter den Armen ist alles wo es hingehört und der Rückenausschnitt liegt endlich schön geschwungen am Rücken an. Ich war überglücklich.

Vom Schnitt zum Kleid

Nachdem ich das Oberteil ja zur Probe schon viermal genäht hatte, war es auch in „echt“ schnell gemacht. Durch die vielen kleinen Teile am Oberteil und die Taschen besteht es aus vielen kleinen Teilen.

Genäht habe ich es aus schwarzem Baumwoll-Popeline. Der Stoff passt für dieses Kleid sehr gut, da er dem Oberteil etwas Halt gibt. Ich habe trotzdem entgegen der Anleitung nicht nur das obere, sondern das komplette Oberteil mit Futterseide gefüttert. Ich fand es einfach schöner, die Nahtzugaben im Oberteil komplett verdecken zu können.

Für einen netten Anblick von „innen“, habe ich den unteren Teil des Oberteils lila gefüttert. Es sieht zwar keiner, aber ich find’s trotzdem irgendwie geil.

Besonders erwähnenswert ist vielleicht noch die Spitzenborte am Rocksaum: Die „Breite“ Spitze wird bei diesem Kleid aus mehreren verschiedenen Borten zusammengesetzt. Das ergibt nicht nur einen sehr schönen optischen Effekt, es sorgt auch dafür, dass der Rock ein wenig Gewicht bekommt und schön fällt.

Diese Technik werde ich  mir auf jeden Fall für zukünftige Nähprojekte merken!

Fazit oder: Wie Dir dieser Fehler nicht passiert

Ich habe diesen Beitrag sehr ausführlich gestaltet, was mein Gefühlschaos bei der Schnittanpassung angeht. Wenn Du auch schonmal etwas genäht hast, das einfach nicht richtig passen wollte, weißt Du was ich meine. Ich bin sehr froh, dass ich dieses Kleid trotz Allem geschafft habe. Es lohnt sich einfach, sich bei Problemen durchzubeißen und nicht einfach aufzugeben. Das Ergebnis macht mich  umso stolzer.

  • Ich hab nicht mitgedacht und bei dem schwarzen Kleid die Knopflöcher horizontal gearbeitet. In der Anleitung sind sie aber vertikal. Da die Knöpfe leider etwas herumrutschen, ist mir nun auch klar, warum. Ich werde die Knopfleiste mit den Knopflöchern wohl nochmal abtrennen und neu nähen müssen 🙁

Damit Dir diese Fehler nicht auch passieren, habe ich meine Erkenntnisse aus diesem Nähprojekt hier zusammengefasst:

5 mögliche Gründe, warum das Rückenteil nicht richtig passt:

  • Rückenteil als Ganzes zu schmal oder zu breit. Das lässt sich am korrekten Sitz der Seitennähte überprüfen
  • Armlöcher zu weit oder zu eng: Dadurch ergeben sich ungewollte Falten am Vorder- und Rückenteil
  • Hohlkreuz: Wie man den Schnitt dahingehend anpassen muss, findest Du hier:
  • Rausstehende Schulterblätter: Mein Passformproblem hier. Wie ich es korrigiert habe, habe ich oben beschrieben
  • Rückenteil zu kurz: Vor allem bei großen Frauen ein Problem. Ich habe meins um 2cm verlängert

Das Kleid ist super elegant und mir gefällt die Figurbetonte Form. Alltagstauglich ist es nicht unbedingt, es sitzt recht knackig auf Figur, so dass es nicht so viel Bewegungsfreiheit bietet. Daher wandert es erstmal in den Schrank für eine Zeit, in der es wieder besondere Anlässe gibt.

Was würde ich nächstes Mal anders machen?

  • Die Spitzenborte VOR dem Annähen oben versäubern. Irgendwie habe ich das verpeilt. Von Außen ist es nicht sichtbar, von innen würde es aber schöner aussehen.
  • Passzeichen an den Ärmeln richtig setzen: Da ich an den Ärmeln so viel abgeändert habe, sitzen die Passzeichen vorne nicht mehr ganz richtig. Das sollte ich auf jeden Fall korrigieren, wenn ich den Schnitt nochmal nähe
  • Ärmelchen wieder weiter machen: Ich habe sie extra eng gemacht, aber um der Bewegungsfreiheit willen, mache ich die Ärmelchen beim nächsten Mal wieder etwas weiter.
  • Festere Einlage für die Knopfleiste: Ich habe eine ganz leichte Bügeleinlage verwendet, beim nächsten Mal würde ich jedoch eine Stufe fester nehmen, da mir die Knopfleiste einen Tick zu wabbelig erscheint.
  • Ich denke darüber nach, bei meinem nächsten Kleid den Rockteil an der Knopfleiste ein Stück zuzunähen, so dass die Knöpfe an dieser Stelle nur noch dekorativ sind. Wenn man sich in dem Kleid bewegt kann es passieren, dass die Knöpfe verrutschen und dann ganz außen an den Knopflöchern hängen, was ganz unschön aussieht.

Mit diesem Kleid habe ich übrigens auch wieder ein weiteres Projekt meiner #makenine Liste für 2021 abgeschlossen. Das Schnittmuster in seiner jetzigen Form passt mir perfekt und ich möchte mir auf jeden Fall noch eine etwas weitere und legerere Variante für den Sommer nähen.

In diesem Sinne wünsche ich Euch viele schöne, warme Tage und viel Nähfreude, auch wenn das Nähprojekt mal nicht so klappt.

Eure Lasercat

Verlinkt bei Lieblingsstücke

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