Manchmal entstehen bei mir vollkommen unverhofft die schönsten Kleidungsstücke. So geschah es, dass ich eigentlich nur ein Probekleid für ein anderes Projekt machen wollte und am Ende dann ein zusätzliches Partykleid in meiner absoluten Lieblingsfarbe genäht habe.
Nachdem ich inzwischen wieder in all meine alten Kleider passe, habe ich auch dieses Kleid aus dem Schrank geholt und für meinen heutigen Beitrag zur #vintagevalentinechallenge auf Instagram abgelichtet. Das Motto des Tages ist übrigens „Valentine Colors“ – Und bei mir ist die Farbe der Liebe natürlich nicht rosa, sondern lila. Lila ist für mich einfach die Farbe der Farben. Sobald ich was Lilanes sehe, löst es bei mir Glücksgefühle aus und wenn es nach mir ginge, würde ich sogar mein Haus lila streichen.
Dieses Kleid ist nähtechnisch wirklich weit weg von der Perfektion, aber ich liebe es trotzdem.
Wer hier schon länger mitliest erinnert sich vielleicht noch an mein Kirschblütenkleid, das ich für das Sommernachtsfest 2018 genäht habe. Dieses Kleid war mit seinem sehr figurnahen Schnitt und den Cutouts am Oberteil vorne und hinten schon eine kleine Herausforderung. Daher hatte ich damals zuerst ein Probekleid gemacht, um den Schnitt richtig anzupassen. Es passte nicht perfekt, aber ich fand es damals schon so schön, dass ich es fertig genäht habe.
Was ist ein Probeteil?
Eigentlich sagt der Name schon alles. Du nähst den Schnitt erstmal aus einem anderen Stoff, um ihn anzuprobieren. Am Schnittmuster selbst kann man zwar schon einige Anpassungen vornehmen, aber unser Körper ist ja nicht symmetrisch, so dass man nur durch eine Anprobe sieht, ob das Kleidungsstück wirklich richtig passt. Für das Probeteil hast du zwei Möglichkeiten: Ein nicht–tragbares Probeteil und ein tragbares Probeteil.
Wenn es darum geht, die Passform von einem bestimmten Bereich eines Kleidungsstücks zu prüfen und anzupassen, ist es nicht notwendig das komplette Teil zu nähen. Da reicht es wenn man nur den entsprechenden Bereich nachnäht. Diese Probeteile werden für die Anpassung benutzt und danach weggeworfen, da man sie ja nicht wirklich als Kleidungsstück tragen kann. In der richtigen Schneiderei wird dafür sogenannter Nesselstoff benutzt. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren Stoff zu kaufen um ihn dann wieder wegzuwerfen. Deswegen verwende ich für meine nicht-tragbaren Probeteile immer alte Stoffe oder Stoffreste, die anderweitig nicht mehr vernäht werden können.
Auf dem Bild habe ich das Probeteil für das Oberteil meines Wollkleids aus einem alten Dekostoff genäht. Der Stoff lag lange bei meiner Freundin im Keller und müffelt etwas, weswegen man ihn eigentlich nicht mehr für richtige Nähprojekte verwenden kann. Daher fiel es mir auch nicht schwer, das Probeteil nach der Anprobe wegzuwerfen.
Wenn man allerdings die komplette Passform eines Kleidungsstück am fertigen Teil begutachten möchte, lohnt es sich, ein tragbares Probeteil zu machen. Das bedeutet einfach, das komplette Teil – In meinem Fall das Kleid – aus einem billigeren Stoff zu nähen. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist natürlich, dass dabei kein „Müll“ entsteht, sondern im bestenfall ein zusätzliches, schönes Kleidungsstück. Das komplette Teil allerdings vorzunähen und anzuprobieren ist natürlich wesentlich aufwendiger, da hier ja auch die Nähte und Kanten versäubert werden müssen. Dafür kann man dabei wirklich alle Arbeitsschritte des Kleidungsstücks schonmal durchspielen, was sich gerade bei komplizierten Burda-Anleitungen lohnen kann.
Vor zehn Jahren hätte ich mir nie die Mühe gemacht, für irgendwas ein Probeteil zu erstellen. Inzwischen bin ich da aber schlauer.
Lohnt es sich, ein Probeteil zu erstellen?
Das ist eine berechtigte Frage, die Nähanfänger/innen sich oft stellen. Immerhin kostet es so einiges an Zeit und Material, das gewünschte Kleidungsstück gleich zweimal zu nähen. Es lohnt sich jedoch IMMER, wenn Du dir bei einem Schnittmuster über die Passform unsicher bist. Ganz besonders bei Kleidungsstücken aus Webware (nicht elastisch), die sehr figurbetont sitzen sollen. Ich arbeite bei Oberteilen eigentlich immer erstmal mit einem Probeteil. Nur so kann ich sehen, ob Abnäher, Brustbereich und Rücken richtig sitzen. Wenn ich an einem Schnitt viele Anpassungen machen muss, wie zum Beispiel bei meinem grauen Wollkleid, können es auch mal zwei oder drei Probeteile werden.
Vorteile von einem Probeteil:
- Der „gute“ (und oft auch teure) Stoff wird erst angeschnitten, wenn Schnittmuster und Passform perfekt sitzen
- Keine nachträglichen Änderungen am fertigen Teil notwendig
- Bessere Qualität und Passform des fertigen Kleidungsstücks
- Im besten Fall ein „tragbares“ Probeteil, das man auch so noch anziehen kann
Cutouts und schräge Abnäher
Der Schnitt für dieses Kleid stammt aus einer Burdastyle der frühen 2010er. Bei der Suche nach einem Schnitt für mein Abendkleid zum Sommernachtsfest bin ich 2018 bei diesem hier hängen geblieben. Mir hat die figurbetonte Form gut gefallen und natürlich die tropfenförmigen Cutouts vorne am Ausschnitt. Auch hinten am Rücken entzückt das Kleid mit einem weiten Ausschnitt. Geschlossen wird das Ganze hinten mit einem nahtverdeckten Reißverschluss. Für die nötige Bewegungsfreiheit hat das Kleid einen Gehschlitz am hinteren Rockteil.
Als ich das Kleid genäht habe, war ich grade im ersten oder zweiten Monat schwanger. Damals hatte ich noch eine ganz andere Figur und weitaus weniger Probleme mit der Passform der Schnitte um die Oberweite herum. Deswegen habe ich bei diesem Kleid im Brustbereich nichts anpassen müssen. Der Grund, warum mir dieses Kleid über der Brust auch heute noch passt, ist einfach nur, dass ich damals insgesamt etwas dicker war und mir das Kleid heute minimal zu groß ist. Ich erinnere mich noch, dass dieses Probekleid damals so eng war, dass ich den Reißverschluss kaum zubekommen habe.
Jedenfalls wollte ich 2018 nicht direkt meinen guten Stoff anschneiden und habe daher zuerst das komplette Kleid aus einem billigen lila Satinstoff genäht, den ich schon ewig in meinem Stoffschrank liegen hatte. Ich wollte erstmal testen, wie ich die Cutouts vorne am besten ausschneide und arbeite und wie der Rockteil mit den schrägen Abnähern an mir aussieht.
Den Schnitt habe ich obenrum in Größe 38 abgepaust und um die Hüften herum auf die 40 erweitert. Sonst habe ich für dieses Probekleid keinerlei Anpassungen gemacht. Auf diesen Bildern sieht man am fertigen, aber noch ungebügelten Teil ganz gut, warum sich ein Probeteil gelohnt hat:
- Der Ausschnitt vorne stand bei mir etwas vom Körper ab. Deswegen habe ich von unten etwas Kräuselgummi durchgezogen. Beim Tragen fällt das kaum auf, an der Schneiderpuppe kräuselt sich der Ausschnitt aber ziemlich stark. Das sollte natürlich nicht so sein. Für das richtige Kleid habe ich das Schnittmuster dann soweit angepasst, dass der Ausschnitt direkt am Körper anliegt
- Die Cutouts habe ich mit einem scharfen Cutter auf der Schneidematte ausgeschnitten. Beim Verstürzen muss man bei dieser Form sehr genau arbeiten, aber es hat erstaunlich gut geklappt. Die Ausschnitte sind schon beim ersten Versuch erstaunlich perfekt geworden.
- Der Ausschnitt am Rückenteil steht auch etwas vom Rücken ab. Lusterweise hatte ich dieses Passformproblem bisher bei allen Kleidern mit Rückenausschnitt, die ich genäht habe. Sind Kleiderschnitte grundsätzlich auf Damen mit stärkerer Rückenpartie ausgelegt? Hier habe ich bereits am Probeteil vor dem Verstürzen Das Rückenteil etwas verkleinert.
- Die Brustabnäher sind zu lang und etwas zu hoch. Man sieht es schon an der Puppe, aber auch an den Tragebildern bei mir. 2018 war ich noch nicht so fit im Anpassen von Schnitten. Wie ich bereits schrieb hatte ich auch weniger Passformprobleme bei Kleidung allgemein. Heute habe ich wesentlich bessere Schneiderskills und würde die Abnäher direkt anpassen. Damals waren die aber so okay für mich.
Am Ende fand ich das Probeteil so schön, dass ich es mir in den Schrank gehängt habe, in der Hoffnung es irgendwann mal tragen zu können. Und so ist es geschehen. Letzte Woche habe ich es rausgeholt, angezogen und die lila Liebe gefühlt 🙂
Den wunderschönen lila Glitzerknopf am Rückenteil habe ich übrigens mal auf dem Flohmarkt gefunden. Ich musste ihn einfach mitnehmen, weil er so schön war.
Liebe ist Liebe – Da muss es nicht perfekt sein
Dieses Kleid ist ein Beispiel dafür, dass es nicht nur in der Liebe, sondern auch beim Nähen nicht immer darum geht, perfekt zu sein. Das Kleid sitzt wirklich nicht optimal, die Abnäher sind nicht sauber gearbeitet und am Ausschnitt habe ich mit Elastikband getrickst, damit er ordentlich anliegt. Trotzdem bleibt das Kleid in meinem Schrank. Es ist lila und es ist wunderschön und ich fühle mich darin einfach fantastisch!
Übrigens finden sich auch für unperfekte Kleider die richtigen Anlässe. Dieses Kleid ist jetzt vielleicht nicht geeignet für eine Hochzeit oder die Oper, passt aber wunderbar zu einer sommerlichen Disco-Party in der Beachbar oder einem Club.
Stell Dir vor, wie du mit einem Cocktail in der Hand an einem warmen Sommerabend mit deinen besten Freunden im glitzernden Licht der Discokugel groovst. Im Halbdunkel sieht keiner die unsauberen Abnäher, dafür schimmert der Satin wunderschön im Licht. Das Kleid betont die Kurven an genau den richtigen Stellen, ohne zu viel Haut zu zeigen und hat genug Bewegungsfreiheit zum Tanzen.
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Velinkt beim Samstagsplausch , beim Nähkäschdle und bei den Lieblingsstücken
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