Die Mode der Vierziger und Fünfziger Jahre ist wunderschön elegant und feminin. Beim Anblick all der schönen figurnahen Kleider und schwingenden Röcke vergisst man aber schnell, wie unpralktisch Damenkleidung damals eigentlich war. Schwere Wollstoffe, empfindliche Seidenstoffe, knittrige Baumwolle und überhaupt fast nur Material, das man unter keinen Umständen in die Waschmaschine stecken darf. Einen Vintage-Schnitt daraus zu nähen mag zwar authentisch sein, aber für den modernen Alltag eher unpraktisch. Wo kämen wir hin, wenn ich nach einer Stunde Autofahrt erstmal meinen Rock bügeln und die Bluse lüften müsste?
Vintage Style goes Punto
Meine Schwester Judith fährt jeden Tag eine Stunde mit dem Auto zur Arbeit – und wieder zurück. Nicht nur, dass da wenig Zeit bleibt zum Waschen und Bügeln, ihre Kleider sollen auch nach der Fahrt noch gebügelt aussehen. Schon lange hat sie sich ein Kleid von mir gewünscht und so habe ich ihr zum Geburtstag eins genäht. Der Schnitt ist Vintage-Style, der Stoff aber ein ganz moderner Punto oder auch Romanit-Jersey.
Schnittmuster und Material
Der Schnitt stammt aus dem Buch „Gertie’s ultimate Dressbook“. Es ist das „Secretary Dress“ mit den kleinen Flügelärmeln und dem süßen Bubikragen. Ich persönlich finde den Schnitt des Kleids süß, die Überknielänge und der schwere Wollstoff lassen eine Frau mit etwas mehr Figur aber schnell klobig aussehen. Einen solchen Wollstoff würde ich eher für eine Rock-Blazer Kombination verwenden.
Judith mag aber sowieso am liebsten Schwarz, also kam gar keine andere Farbe in Frage.
Material:
- 1m schwarzer Romanitjersey
- 1 nahtverdeckter Reißverschluss, 50cm mit passendem Spezialfuß zum Einnähen
- schwarzes Nähgarn
- Jerseynadel für die Nähmaschine
- Ein Rest schwarzer Baumwollstoff und ein Rest Tüllspitze für den Kragen
- 2 silberne Knöpfe
- ca. 10-20cm Vlieseline oder andere Bügeleinlage, schwarz
- 30cm Satinband für die Schleife
Falls sich jemand über die geringe Stoffmenge wundert: Meine Schwester ist bei weitem nicht so groß wie ich, daher brauchte ich auch wesentlich weniger Stoff. Für mich selbst (173cm) bräuchte ich mit Sicherheit 1,5m Jersey für das selbe Kleid.
Schnittmuster-Anpassungen
Den Grundschnitt für diese Kleidform kannte ich bereits, daher wusste ich dieses Mal bereits genau, was dabei zu beachten war. Das Oberteil meiner grauen Wollkleider vom letzten Jahr ist nach dem selben Schnittmuster genäht. Da meine Schwester aber ganz anders gebaut ist als ich, konnte ich den selben Schnitt aber natürlich nicht verwenden. Deshalb habe ich hier ganz von vorne angefangen:
- Ich habe das Oberteil erstmal in Gr.10 und den Rockteil in Gr.6 abgepaust. Die Übergänge zwischen den Größen habe ich entsprechend angepasst.
- Den Rock habe ich erstmal 20cm gekürzt, Judith ist nur 160cm groß. Den Schlitz am Rock habe ich auch kürzer gemacht, damit er nicht am Ende bis zum Hintern hochgeht 🙂
- Ich habe eine „Hohlkreuzanpassung“ am Schnitt gemacht. Wie man auf dem Bild sieht, musste ich aus dem mittleren Rückenteil ordentlich Stoff rausnehmen, damit das Kleid sich am Rücken in die „Kuhle“ des Hohlkreuzes einfügt und die Taillenlinie beim Tragen dann nicht verrutscht aussieht.
- Auch vorne habe ich an den Seitennähten ein bisschen Stoff weggenommen, damit der Jersey sich beim Tragen ganz leicht dehnt und sich sanft um die Figur schmiegt.
Was ist zu beachten beim Nähen?
Das Kleid ist in der Anleitung aus einem etwas dickeren Wollstoff gemacht und komplett mit Seide gefüttert. Hinten wird es mit einem seitlich verdeckten Reißverschluss geschlossen. Da ich hier aber mit elastischem, hautfreundlichen Romanit-Jersey gearbeitet habe, konnte ich auf das Futter verzichten. Ich habe den Halsausschnitt meinem Beleg verstürzt und die Ärmel unten einfach mit der Zwillingsnadel umgenäht. Hier sehr ihr alle Teile vom Kleid mit bereits geschlossenen Abnähern.
Der olle Kragen, der nicht passt
Der Kragen besteht aus zwei Lagen Baumwollstoff und einer Lage Spitzenstoff darüber. Anstatt einer Stoffschleife habe ich dafür ein Stück Satin-Band verwendet und mit ein paar Stichen festgenäht
Mein Gedächtnis ist ein Sieb – Bereits letztes Jahr, als ich den Bubikragen aus dem Buch für mein graues Wollkleid nähen wollte, fiel mir auf, dass der Schnitt für den Kragen einfach nicht richtig an den Halsausschnitt passt. Ich hatte damals dann einen eigenen Schnitt für einen passenden Kragen entwickelt – Und es offensichtlich direkt wieder vergessen 🙂 Das Bild auf dem man den Fehler am Schnitt gut erkennt, stammt sogar aus meinem alten Blogpost zu dem Kleid.
Als ich die beiden Kragenteile fertig genäht hatte, wollte ich sie an den Halsausschnitt stecken und – Oh Schreck – Der Kragen endete nicht wie vorgesehen hinten am Reißverschluss, sondern irgendwo auf Höhe der Schulterblätter. Also was tun? Den Kragen hatte ich schon genäht und meine Motivation ihn noch einmal komplett zuzuschneiden, hielt sich in Grenzen. Also habe ich improvisiert.
Die beiden silbernen Knöpfe haben eine besondere Geschichte: Sie gehörten zu Judith’s ehemaligen Lieblingskleid, das 2020 bei einem Unfall unrettbar beschädigt worden war. Sie hatte sie mir gegeben, damit zumindest ein Teil davon ein neues Darsein an einem schönen Kleidungsstück findet. Mir fällt spontan nichts ein, was dafür besser gepasst hätte, als ihr Geburtstagskleid.
Und weil er so schön ist, ist hier der Kragen nochmal von vorn:
Kleine Änderung am Schlitz
Da der Rock eigentlich gefüttert wird, wird der Schlitz einfach nur nach innen umgeschlagen, das Futter wird dann auf der Nahtzugabe angenäht. Da ich aber kein Futter hatte musste ich hier etwas improvisieren. Ich wollte den Schlitz nicht rundherum absteppen, da dies den Fall des Rocks hinten verändert hätte. Daher habe ich ihn einfach nur eingeschlagen und unten durch den Saum und oben durch eine kleine Quernaht festgesteppt. So werden die umgelegten Seiten innen gehalten. Bei einem längeren Schlitz würde das sicher nicht funktionieren, bei der kurzen Länge hier geht es aber ganz gut.
Fazit
Das Kleid sollte eine echte Überraschung werden, deswegen war es nicht möglich, es vorher einmal anzuprobieren. Also war die Spannung für mich riesig, als sie es ausgepackt und das erste Mal angezogen hat.
Für mich war die Freude dann doppelt groß – Einmal natürlich weil ihr das Kleid gefällt und auch, weil es perfekt passt.
Der elastische Stoff ist ein sehr dankbares Material. Romanitjersey hat durch sein Gewicht einen schön Fall, ist elastisch aber nicht ganz so stretchig wie normaler Jersey. Dadurch legt er sich schön an die Figur, ohne aufzutragen. Während dieses Schnittmuster bei einem nicht-elastischen Stoff eine echte Herausforderung ist, lässt es sich aus Romanit-Jersey wunderbar einfach und schnell nähen. Ich habe für das ganze Kleid vielleicht 4 Stunden gebraucht. Dass das Kleid kein Futter benötigt, trägt natürlich auch noch zu der kurzen Nähzeit bei.
Das Kleid ist quasi bügelfrei. Wegen dem Kragen sollte es bei maximal 30 Grad und 800 Umdrehungen im Wäschebeutel gewaschen und danach zum Trocknen auf einen weichen Kleiderbügel gehängt werden. Danach ist es direkt wieder einsatzbereit.
Das Einzige, was mir an diesem Kleid noch fehlt, sind tolle Fotos. Leider hatten wir nach der Geburtstagsparty keine Gelegenheit für ein richtiges Fotoshooting und so wurde das Kleid nur mal schnell übergezogen und vor der Haustür fotografiert. Das ist richtig schade, da uns aber 400km trennen, wird es noch ein wenig dauern bis ich die „schönen“ Fotos von Judith in ihrem Kleid nachreichen kann.
Insgesamt gefällt mir das Kleid so gut, dass ich darüber nachdenke, genau das selbe Kleid auch nochmal für mich selbst zu machen. Ich glaube, ich muss mir direkt nochmal von diesem Romanit-Jersey kaufen. 🙂
Bis zum nächsten Nähprojekt auf meinem Blog
Eure Lasercat
Verlinkt bei DufürDichamDonnerstag
[…] und der Farbe des Kleids. Den Kragen habe ich aus schwarzem Romanit-Jersey genäht. Bei dem „Secretary Dress“, das ich im Sommer für meine Schwester genäht habe, hatte ich den selben Kragenschnitt verwendet […]
[…] „Gertie’s ultimate Dressbook“ genäht und auch dieses Jahr im Herbst nochmal das „Secretary Dress“ aus dem Buch nach dem selben Schnitt für meine Schwester. Beide Kleider haben einen […]
Bei der Kragenlösung hinten habe ich gedacht, es ist Vintagestyle. Den finde ich sehr schön, vor allem ja von vorne. Schlitze arbeite ich immer mit Untertritt, was ja auch eine Möglichkeit ist. Ein Kleid maßzuschneidern aus der Ferne ist ja gar nicht so leicht, da wird sich deiner Schwester sicher sehr gefreut haben. Und demnächst vielleicht doch noch mal aus Wollstoff? Kann ja auch kürzer sein! Regina