Alles aus Jersey?! Ein ungewohnter Satz für ein Nähmagazin aus den Fünfzigern. So sind doch die meisten Schnittmuster aus dieser Zeit auf Webstoffe wie Popeline, Chiffon, Satin oder Leinen ausgelegt. Deswegen musste ich diesen Schnitt aus einem so modern anmutenden Material unbedingt mal ausprobieren.
Jersey in den Fünfzigern?
Jersey ist aktuell der wohl beliebteste Stoff der Hobbyschneiderei. Er ist leicht zu nähen, leicht zu waschen, weitestgehend bügelfrei und kommt in hautfreundlicher Bio-Qualität. Das Internet ist voll von unterschiedlichsten Schnitten und Ideen zum Nähen mit Jersey. Das war allerdings nicht immer so.
Der Stoff selbst wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts erfunden. Dabei wurden feine Wollfäden auf einer Maschine mit vielen kleinen Nadeln verstrickt. Anfangs trug man das Material höchstens als Unterwäsche, bis Coco Chanel ihn 1916 auf die Laufstege der Welt brachte und der Alltagsgarderobe zugänglich machte. Trotzdem sollte es noch einige Zeit dauern, bis jeder im Jersey-Shirt unterwegs war.
In den Vierziger und Fünfziger Jahren trug man den Jersey weitestgehend als Sportkleidung. In der eleganten Alltags- und Abendgarderobe war er eher selten zu sehen. Das lag auch daran, dass die meisten Frauen gut stricken konnten und neben ihren hand- oder maschinengestrickten Pullovern und Jacken keinen Bedarf für ein Jerseyshirt hatten.
Trotzdem war Jersey als Stoff am Markt und wurde zuweilen wohl auch gerne vernäht, wie hier in diesem Schnittmuster aus dem Günther Modenblatt 10/1956.
Ein anderes Beispiel für einen tollen Jersey-Schnitt aus den Fünfzigern ist das „Joan“-Kleid, über das ich vor einiger Zeit hier mal geschrieben habe.
Wickelbluse nähen – Das Material
Um die Wickelbluse nähen zu können, habe ich folgendes gebraucht:
- 1,2m Jersey
- Jerseynadel für die Nähmaschine
- Kantenband oder Nahtband, ich habe das von Vlieseline benutzt
- Bügeleinlage
- Passendes Nähgarn
- Overlock-Garn
Das Schnittmuster
Wie gewohnt von solchen Magazinen kommt dieser Schnitt in nur einer Größe, der „40“. Nun sollte aber bedacht werden, dass die 40 der Fünfziger Jahre keineswegs einer heutigen 40 entsprochen hat. Zieht man die Schnittmustertabell zu Rate, entspricht das ungefähr einer heutigen Größe 36/38.
Warum diese Schnitte immer nur in einer Größe kamen, wie man sie ändern konnte und welche Vintage-Größe der eigenen modernen Größe entspricht, könnt ihr hier nachlesen.
Der Schnitt besteht aus vier Teilen: Vorderteil, Rückenteil, Bindebändern und Zwickel. Laut Angabe im Magazin kommt der Schnitt mit 1,20m Stoff aus. Das stimmt auch ungefähr. Da mir der Schnitt aber sehr kurz erschien, habe ich an Saum und Ärmeln noch jeweils 4cm Länge dazu gegeben.
Alternative Schnittmuster für die Wickelbluse
Wie so oft bei solchen Vintage-Schnitten, ist der Originalschnitt nur schwer zu beschaffen. Deswegen habe ich hier für Dich einige moderne Schnittmuster in ähnlichem Stil verlinkt.
Stoff und Zuschnitt
Dank der angeschnittenen Ärmel ist der Schnitt recht einfach gehalten. Leider ist dadurch aber auch der Stoffverbrauch recht hoch. Da gerade das im Stoffbruch zugeschnittene Rückenteil recht viel Stoff verbraucht, ist das eher kein Projekt zur Resteverwertung.
Abgesehen von den Abnähern und Faltenmarkierungen bringt der Schnitt nichts kniffliges mit sich und ist schnell abgepaust und zugeschnitten.
Vor dem Nähen werden erstmal alle Falten gebügelt und geheftet und dann kann es los gehen.
Mein erster Zwickel (Fail)
Auch mir begegnen beim Nähen immer wieder neue Herausforderungen. In gewisser Weise suche ich die ja auch. Bei dieser Bluse war das eindeutig der Zwickel. Ein Zwickel ist ein rautenförmiges Stück Stoff, das unter den Achseln eingesetzt wird, um auch ohne Abnäher Bewegungsfreiheit am Oberkörper zu gewährleisten. Das sieht besonders bei angeschnittenen Ärmeln und Oberteilen im Kimono-Style sehr gut aus. Heutzutage ist diese Technik ziemlich aus der Mode gekommen. Ich habe diese Technik in der heutigen Mode bisher nur bei sehr dicken Wollmänteln gesehen. Ein Grund mehr, warum ich das unbedingt mal ausprobieren wollte.
Da das Magazin keinerlei Anleitung mitbringt wie das funktioniert, habe ich mir ein paar Videos und Blogs dazu angeschaut. Eigentlich sah das gar nicht so schwer aus.
Doch leider stellte sich der Zwicken dann doch als ziemliche Herausforderung heraus. Ich wollte die Wickelbluse eigentlich komplett auf meiner alten Bernina Record nähen. Da die alte Maschine allerdings sehr zu wünschen übrig lässt, was Stofftransport und Nähfußdruck angeht, habe ich dann beim Zwickel aufgegeben. Ständig hat es mir den Stoff verzogen und nicht richtig transportiert. Also bin ich zu meiner modernen Bernina B480 gewechselt. An der habe ich dann versucht, den Zwickel einzunähen – Mit eher mittelmäßigem Erfolg. Nachdem ich ihn drei Mal rausgetrennt und wieder eingenäht habe, beschloss ich, mich mit dem mittelmäßigen Ergebnis abzufinden (Immerhin sieht man den Zwickel unter der Achsel ja gar nicht) und es beim nächsten Mal besser zu machen.
Was ist ein „Formstreifen“?
Die Ausschnittkanten der Bluse werden laut Anleitung mit einem „Formstreifen“ versäubert. „Was soll denn das sein?“, fragte ich mich. Aus der modernen Schneiderei kenne ich „Formband“, „Schrägstreifen“ oder Nahtband. Aber all das passte nicht so richtig. Also habe ich das Internet konsultiert und in einer meiner Facebook-Nähgruppen Hilfe erhalten.
Als „Formstreifen“ bezeichnete man damals einen Beleg, also ein Stück Stoff, das rechts auf rechts an den Ausschnitt genäht und dann nach innen umgeschlagen wird. Bei modernen Schnitten kommt meistens ein eigenes Schnittmuster für den Beleg mit. Bei diesem hier war keins dabei – Offensichtlich war diese Technik der Hausfrau aus den Fifties so geläufig, dass kein eigenes Schnittmuster dafür notwendig war.
Also habe ich mir meinen Beleg selbst erstellt mithilfe des Schnitts für das Oberteil. Den habe ich dann mit Bügeleinlage verstärkt und an den Ausschnitt gesteppt. Um die Ecken sauber auszuformen, habe ich die Nahtzugabe abgeschnitten und die Spitze dann sauber gewendet.
Danach habe ich dann noch die Saum- und Ärmelkanten mit der Zwillingsnadel umgenäht.
Das Bindeband für die Wickelbluse
Zu guter Letzt kam dann noch das Bindeband an die Bluse. Bei dem habe ich die Nahtzugabe auf der Innenseite nach „innen“ gebügelt und es dann angesteppt. Den eingeschlagenen Teil habe ich dann von Hand auf der Naht festgenäht. So ist die Nahtzugabe innen direkt mit versäubert.
Fertig! Meine Vintage-Wickelbluse
Die Bluse war schnell genäht – Innerhalb von einem Nachmittag war alles fertig. Dank der Zwickel sitzt sie obenrum gut und bequem und kommt vorne ohne Abnäher aus. Das eine Bindeband vom unteren Teil wird durch eine Öffnung in der Seitennaht gezogen und dann hinten mit dem von der anderen Seite verknotet.
Mir gefällt an der Bluse vor allem der Ausschnitt mit den „Ecken“ am Halsausschnitt und der schöne Fall. Die Bluse ist bequem, waschbar und passt sowohl zu Vintagemode als auch zu ganz modernen Alltagsoutfit. Der einzige Nachteil für mich ist die Länge: Obwohl ich extra noch 4 cm dazugegeben habe, ist die Bluse doch insgesamt recht kurz geraten. Da sie bei mir fast bauchfrei ist, sieht sie zu Jeans nicht wirklich gut aus. Am besten macht sie sich über einem frühlingshaften Kleid oder einem hoch in der Taille sitzenden Rock.
Trotzdem bin ich von dem Schnitt total begeistert und möchte ihn auf jeden Fall nochmal nähen – Einfach nur, weil ich das mit dem Zwickel meistern möchte. Beim nächsten Mal werde ich dem Ganzen dann auch noch mehr zusätzliche Länge hinzufügen.
Bis dahin schicke ich euch schonmal ein paar Vorfrühlingsgefühle
Eure Lasercat
Verlinkt beim MeMadeMittwoch
[…] nach einem Original Vintage Schnitt von 1956. Wie das entstanden ist, könnt Ihr Euch hier auf meinem Blog oder meinem Youtube-Kanal […]