Eine Hochzeit ist für die Einen der wichtigste Tag im Leben, für die anderen nur eine schöne Feier von vielen, die man über die Jahre so erleben darf. Meine Schwester Judith und teilen eher letztere Ansicht. Deswegen war es mir eine Freude ihr ein Hochzeitskleid nähen zu dürfen, das nicht einfach nur ein Brautkleid ist, sondern ein Begleiter für viele Feierlichkeiten, die in den nächsten Jahren noch kommen werden.

1.Die Idee

Letztes Jahr kündigte meine Schwester ihre Hochzeit an, zusammen mit dem Wunsch, in einem von mir genähten Kleid zu heiraten. Zu Anfangs war ich skeptisch: „Ein Hochzeitskleid nähen? Traue ich mir das zu? Kann ich das im vorgegebenen Zeitrahmen schaffen? Und wird dieses Kleid überhaupt ihrem Wunsch gerecht werden?“, fragte ich mich.  Ihr Wunsch war es dann, der mich am Ende überzeugte.

Meine Schwester wollte nämlich kein weißes Prinzessinnenkleid für ihre Hochzeit, sondern ein zeitloses Abendkleid, das sie auch auf anderen Veranstaltungen würde tragen können. Es sollte maximal knielang sein und einen weiten Rock haben. Da sie recht klein ist und ihre Maße nicht dem Standard entsprechen, hat sie es oft schwer, wirklich gut sitzende Kleider zu finden, vor allem um den Oberkörper sind sie ihr meistens entweder zu eng oder viel zu lang. Und da kam mir direkt eine gute Idee.

Retro-Style ist Lasercat-Style

Keine Epoche der Mode ist so schmeichelnd zu allen Körperformen wie die Fifties. Die femininen, taillierten Kleider dieser Zeit lassen sich einfach auf jede Körpergröße anpassen und zaubern auf kräftigeren Silhouetten eine schöne Taille. Weil meine Schwester kräftige Schultern hat, hatte ich direkt ein „Off-Shoulder“ oder direkt schulterfreies Kleid im Kopf.

Allerdings sollte es eine Variante sein, die man auch im September noch gut ohne Jäckchen tragen kann. Nichts ist trauriger, als ein schönes Brautkleid über das komplette Fest hinweg unter einem Bolero zu verstecken, weil man sich im schulterfreien Oberteil „nackt“ fühlt, oder es schlichtweg zu kalt dafür ist. 

Ich hatte meiner Schwester ein Kleid mit Pencil Skirt empfohlen, sie ließ sich jedoch nicht von der Idee abbringen, einen weiten Rock mit Petticoat tragen zu wollen. Also sollte es ein quasi schulterfreies Kleid mit Petticoat werden. Mit dieser Idee im Kopf machte ich mich auf die Suche nach einem passenden Schnittmuster.

Quelle: Pinterest
Quelle: Pinterest
Quelle: Pinterest

Ich kann Euch eines sagen: Wenn man schon eine sehr konkrete Vorstellung von einem Schnitt hat, ist es wirklich schwer, ein passendes Schnittmuster zu finden. In meinem beachtlichen Fundus an Schnittmustern von Burdastyle und aus den Fünfzigern wurde ich nicht fündig. Dann habe ich meine Suche auf die Gertie-Schnitte ausgeweitet. Im aktuellen Charm Patterns Store fand ich auch nichts, daher fing ich an, die McCalls Schnitte von Gertie zu durchsuchen. Viele von denen gibt es nicht mehr neu zu kaufen, daher blieben mir nur Etsy und Ebay. 

Ein Hinweis am Rande: Über Etsy kann man fast alle Gertie Schnitte auch als Download kaufen. Ich persönlich mag Download-Schnitt nicht so gern, da ich das Ausschneiden und Zusammenkleben nicht mag, außerdem bevorzuge ich Schnittmuster auf Seidenpapier, da es sich besser anstecken und bearbeiten lässt als normales 90g Druckerpapier.

Schnittmuster
Butterick5814

Der erste Schnitt, der mir für das Hochzeitskleid gut gefiel war das Butterick5814. Dieses tolle Retrokleid mit dem raffinierten Wickelausschnitt und den „Off Shoulder“ Ärmelchen war vom Oberteil her perfekt. Dieser ließe sich bestimmt auch mit einem weiten Rock nähen Als ich mir aber genauer angeschaut habe, wie das Oberteil genäht ist, wurde ich skeptisch, ob dies wirklich der richtige Schnitt war. Das Oberteil ist mit schräg sitzenden Stäbchen gearbeitet, es bietet dadurch kaum Bewegungsfreiheit und die Gefahr, dass die Stäbe sich nach außen beulen, wenn man beim sitzen etwas krumm wird. Zudem wollte meine Schwester sowieso ein Korsett untendrunter tragen, da wären zusätzliche Stäbe unnötig gewesen. 

Auch bei der Taillenpartie war ich mir nicht sicher, ob ihr dieser Schnitt gut stehen würde, da sie eher wenig natürliche Taille hat und der abgetrennte Taillenteil eventuell unvorteilhaft wirken könnte. Daher weitete ich meine Suche aus auf die anderen Butterick Retro-Schnittmuster, die sich im WWW tummeln.

Schnittmuster

Dann entdeckte ich Butterick 5983. Dieses Schnittmuster hat ebenfalls ein Oberteil in Wickeloptik und über die Schultern fallende Ärmelchen.

Das „Butterick 5983 Misses Dress“ aus der Retro-Linie von Butterick erinnert an die Abendmode der späten Fünfziger oder frühen Sechziger Jahre. Der Schnitt kommt in verschiedenen Varianten mit kuzren oder langen Ärmeln, weitem oder schmalem Rock und optionalen Schößchen für letzteren. Im Gegensatz zum 5814 kommt dieser Schnitt ohne Stäbe aus und ist dadurch am Oberteil wesentlich bequemer.

Dank der Wickeloptik passt sich das Oberteil perfekt der Figur an und kommt durch gut gesetzte Abnäher und eine hohe Taille auch ohne Stäbe aus. Für den weiten Rock ist der Schnitt für den integrierten Petticoat-Unterrock gleich mit enthalten. 

Auch meiner Schwester gefiel der Schnitt sofort. Also stand die Entscheidung für das Schnittmuster fest.

2.Der Stoff

Ein besonderes Kleid braucht auch einen besonderen Stoff. Der Wunsch meiner Schwester war ein zweilagiges Kleid aus Satin und Spitze. Doch welche Farbe sollte das Kleid haben? 

Es war Zeit, für eine kleine Farbberatung! Eigentlich ist die Lieblingsfarbe meiner Schwester schwarz und sie trägt auch kaum andere Farben. 

Um ganz sicher zu gehen, dass Farbe und Textur von Spitze und Satin zusammenpassten und die richtige Farbkombination zu finden, habe ich online erstmal eine ganze Menge Stoffmuster bestellt und wir haben alle möglichen Kombinationen ausprobiert.

Am Ende waren noch die Kombinationen schwarz-rot und rot-rot im Rennen. Schwarz-Rot war mir irgendwie zu „klischee-gruftig“ und meine Schwester fasste plötzlich den Mut, etwas Neues zu wagen. Und so gewann Rot-Rot bei der Farbauswahl.

Ich bestellte also erstmal einen roten Spitzenstoff bei Stoffe.de. Die Enttäuschung folgte direkt eine Woche später per Post. Auf dem kleinen Muster hatte die Spitze edel ausgesehen, auf der großen Fläche gefiel sie mir allerdings gar nicht mehr. Die Farbe war nicht ganz wie erwartet, das Muster wirkte auf der großen Fläche viel zu groß und dazu glänzte der Stoff noch wie verrückt und wirkte ziemlich billig. Was tun? So konnte ich nicht weitermachen!

Bestellter Stoff

Eine weitere Enttäuschung im Briefkasten wollte ich nicht riskieren. Daher gönnte ich mir einen Shopping-Nachmittag in Mannheim und einen Besuch im Senci Nähcenter. Die Auswahl an Stoffen dort ist riesig und die Beratung spitze. Die nette Verkäuferin kannte sich sehr gut aus und nach einigem Probieren und Übereinanderlegen fand ich einen absolut zauberhaften Spitzenstoff in einem tiefen, aber doch leuchtenden, kühlen Rotton, sowie den passenden Satin.

Spitzenstoff zum Hochzeitskleid nähen von Senci

Nun hatte ich das perfekte Material um das Hochzeitskleid nähen zu können.

4.Wie das Kleid entstanden ist

Bevor ich losgelegt habe, habe ich meine Schwester genau ausgemessen. Anhand der Schulter-, Überbrust- und Taillenweite habe ich dann die am ehesten passende Größe aus der Größentabelle ausgewählt.

Kleiner Hinweis: Ich wähle Schnittmustergrößen niemals nach Brustweite aus. Gerade bei größeren Oberweiten ist der Schnitt sonst am Rücken viel zu weit. Besser ist eine Auswahl nach Überbrustweite oder Taillenweite und ein anschließendes Full Bust Adjustment, sollte das Kleid dann über der Brust zu eng sein. 

Der Anfang: Erste Änderungen am Schnitt

Schnittmuster für das Hochzeitskleid ausschneiden

Normalerweise pause ich meine Schnittmuster ab, aber weil ich den Schnitt aus Versehen doppelt bei Ebay ersteigert hatte, habe ich ihn direkt aus dem Seidenpapier ausgeschnitten. Zum Start habe ich Größe 14 ausgewählt und dann anhand der Maße meiner Schwester erstmal ein paar grundlegende Anpassungen gemacht:

  • Sie ist nur 160cm groß, und hat einen kurzen Oberkörper. Daher habe ich als erstes Das Oberteil gekürzt
  • Auch den Rock und den Unterrock habe ich direkt gekürzt
  • Die Taille musste ich etwas erweitern und sie wanderte ein Stück nach oben


Das erste Probeteil und die erste Anprobe

Dann entstand auch schon das erste Probeteil. Genäht habe ich es aus einem alten Tischdeckenstoff, dessen Dicke ungefähr an die des doppellagigen späteren Stoffs herankam. Da ich nicht so viel Stoff hatte, ist der Proberock nicht ganz so lang wie der Schnitt eigentlich gewesen wäre. 

Erstes Probeteil mit Anpassungen

Da der Schnitt wirklich einfach zu nähen ist, war das erste Probeteil rasch fertig und ich begab mich auf eine kleine Reise, 350km in den Süden. In Baienfurth im Hause meiner Schwester machten wir die erste Anprobe, wo ich mir die Änderungen am Schnitt direkt am Probeteil steckte und Anzeichnete.

  • Die Brustpartie passte auf Anhieb sehr gut.
  • Am Rückenteil musste ich im Taillenbereich etwas Weite dazu geben
  • Die Ärmel waren viel zu weit und wurden jeweils 4cm enger
  • Die Taille saß noch nicht richtig und musste wieder ein Stückchen nach unten
  • Das Oberteil war trotz des Kürzens noch ein ganzes Stück zu lang und durfte insgesamt nochmal 3cm kürzer werden

Insgesamt war ich mit der ersten Anprobe zufrieden. An den „Schwierigen“ Teilen des Vorderteils musste ich kaum etwas verändern und die Anpassungen am Schnitt waren schnell gemacht.

Das zweite Probeteil

Um ganz sicher zu gehen, dass später auch alles richtig passen würde, habe ich dann noch ein zweites Probeteil genäht. Um Stoff zu sparen, habe ich den Rock vom ersten Probeteil abgetrennt, um ihn beim zweiten wieder zu verwenden. Daher sieht man auf den Fotos kaum einen Unterschied zwischen den Probeteilen. 

Für die zweite Anprobe nahm meine Schwester dann den weiten Weg nach Rheinland Pfalz auf sich und kombinierte die Anprobe mit einem Besuch im beschaulichen Neustadt. 

Bei der zweiten Anprobe saß alles schon ziemlich gut und es ergaben sich nur noch ein paar kleinere Änderungen:

  • Die Taille saß nun ein Stückchen zu tief und musste wieder einen Zentimeter nach oben wandern
  • Die Ärmel warten immer noch etwas zu weit und wurden auch nochmal einen Zentimeter enger

Außerdem haben wir bei der zweiten Anprobe die finale Rocklänge bestimmt und ausgemessen. Meine Schwester hatte ihre „Brautschuhe“ dabei, so dass wir die Rocklänge auch direkt mit den richtigen Schuhen messen konnten. Dann war die Anprobephase abgeschlossen und ich konnte das „richtige“ Hochzeitskleid nähen.

Das finale Hochzeitskleid nähen – Jetzt wirds ernst

Zuschnitt von Satin und Spitze

Im Stoffladen gab es nur noch 2,7m vom roten Spitzenstoff. Der reichte ganz genau für alle Teile des Kleides. Ich hatte also nur eine einzige Chance, alles richtig zuzuschneiden. Ein Verschnitt und ich würde das Teil nicht nochmal zuschneiden können. Daher war ich beim Zuschneiden schon etwas nervös und ich brauchte einige Zeit, um alle Teile jeweils aus Satin und Spitze zuzuschneiden.

Damit mir beim Zuschneiden des rutschigen Satins der Stoff an Ort und Stelle blieb, habe ich mit einem alten Bettlaken als Unterlage zum Zuschneiden verwendet. Wie ich da genau arbeite, hatte ich mal in diesem Artikel beschrieben. Am Ende hatte ich dann alles beisammen: Alle Teile aus Satin, Spitze und für das Oberteil noch eine Lage Satin für das Innenteil.

Zugeschnittene Schnittteile

Damit die Teile aus Satin und Spitze beim Nähen nicht auseinander rutschen konnten, habe ich sie alle erstmal zusammengeheftet.

Spitze und Stoff zusammen heften

Das Oberteil wird am Ausschnitt verstürzt. Damit man die Nahtzugaben durch die Spitze nicht sehen konnte, habe ich für den äußeren Teil Satin und Spitze zusammengeheftet und für den Innenteil nochmal eine Lage Satin verwendet. Dadurch bekommt das Oberteil noch etwas Stand und Festigkeit. 

Oberteil des Kleids

Dann war es endlich soweit! Die finale Anprobe stand an. Ich war super nervös. Würde das fertige Kleid gut passen? Was wenn nicht? Was soll ich sagen, es war ein voller Erfolg. Das Kleid passte wie angegossen, alle Teile saßen wie sie sollten. Ein paar Kleinigkeiten waren noch zu verbessern, wie zum Beispiel den Reißverschluss ordentlich einzunähen.

Reißverschluss nacharbeiten

Zum Schluss folgten dann noch die kleinen, aber zeitfressenden Abschlussarbeiten wie das Annähen des Futters auf dem Reißverschlussband, das Umnähen des Saumes am Unterrock. Dann war das Kleid fertig und bereit für seinen großen Auftritt.

5.Der passende Haarschmuck

Als das Kleid dann fertig war, war auch der Hochzeitsschmuck geliefert und meine Schwester hatte die Sohlen ihrer Schuhe rot gestrichen. Doch mir fehlte irgendwie noch das gewisse Etwas. Deswegen habe ich kurzentschlossen noch einen passenden Haarschmuck dazu gebastelt.

Haarschmuck selber machen

Dafür habe ich einfach rote Stoffblüten und schwarzes Perlenband auf ein Kämmchen geklebt. Am Anfang waren auch noch rote Federn dran, die wir dann später beim Friseur wieder rausgezupft haben, weil sie für die Frisur nicht so gut gepasst hatten.

Seit meinem Fascinator Projekt bin ich ganz fit mit der Heißklebepistole und der Haarschmuck war in zehn Minuten fertig.

Haarschmuck selbst gemacht

5.Ein Traum in rot – Das fertige Hochzeitskleid

Am 9.9.2022 war es dann soweit – Meine Schwester hat geheiratet in ihrem Lasercat-Hochzeitskleid. Sie war eine wunderschöne Braut und trotz etwas Regen war es eine tolle Hochzeitsfeier.

Dieses Nähprojekt hat sich über ein halbes Jahr hingezogen und hat mich vom Jahresbeginn 2022 bis zum Frühsommer begleitet. Durch die Entfernung unserer Wohnorte war die Zeit zwischen den Anproben immer recht lang und auch die Stoffsuche und die Nähzeit zogen sich ziemlich in die Länge. Zum Glück hatte ich gut geplant und rechtzeitig angefangen, so dass ich keinerlei Zeitdruck hatte und meiner Schwester dann im Juli schon das fertige Kleid überreichen konnte. So hatte ihr Mann auch noch genug Zeit, sich eine Krawatte in passendem Rot auszusuchen 🙂 

Mir fällt es immer schwer, zu einem solch großen Nähprojekt abschließende Worte zu finden. Ein Hochzeitskleid nähen ist wirklich etwas ganz Besonderes. Ich hatte jedenfalls viel Freude beim Nähen dieses Kleides und noch mehr, weil es meiner Schwester so gut passt. Daher lasse ich einfach ein paar Bilder für sich sprechen:

Ich habe es nicht geschafft, mir für die Feier was Neues zu nähen, daher habe ich mein gutes altes Retro Cat Dress getragen. Und ja, ich bin wirklich so viel größer als meine Schwester, dass sie für das „Schwestern-Foto“ auch mit High Heels noch auf der Treppe stehen musste 🙂

Schwestern im Abendkleid

Das Kleid wird jedenfalls auch nicht im Schrank vermodern müssen. Dank des klassischen Stils ist es immer modern und lässt sich zu vielen Veranstaltungen tragen. Mit Blazer wirkt es etwas weniger festlich und wird auch wintertauglich und je nach Schuhwerk und Schmuck kann es sehr edel oder eben etwas mehr casual getragen werden. 

Und so wünsche ich mir abschließend, dass dieser rote Traum aus Spitze noch zu vielen vielen Feierlichkeiten seinen großen Auftritt haben wird. 

Eure Lasercat

Verlinkt beim MeMadeMittwoch

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