Ist es der Stoff oder ist es der Schnitt? Ich weiß nicht, was ich an diesem Kleid mehr liebe. Vermutlich die Kombination aus beidem! Um dieses Vintage-Kleid nähen zu können, habe ich mir extra einen Stoff bedrucken lassen und beim Schnitt kam eine neue Variante aus „Gertie’s ultimate dressbook“ zum Einsatz.

Wer erinnert sich noch an „Frets on Fire“??? Das war eine kostenlose „Guitar Hero“ Variante für den PC, nur dass man dazu keine teure Plastikgitarre brauchte: Man konnte einfach auf der Tastatur losrocken. Ja, das war damals meine Tastatur und ich habe das wirklich darauf gespielt. Hoch und runter – Bis ich alle Songs auswendig konnte.

Die PC- und Videospiele der Neunziger sind inzwischen ja schon wieder cool – Zumindest haben einige davon einen gewissen Kultstatus. Für die Kids von heute sind die Spiele von damals nur Pixelhaufen mit langer Wartezeit. Für die „alten“ unter den Gamern waren es phantastische Welten, fesselnde Abenteuer und haarsträubende Herausforderungen. Nicht auf dem Bildschirm, sondern im Kopf der Spieler wurden die Pixelhaufen zu Monstern, Helden oder Raumschiffen. Man brauchte schon etwas Fantasie und Geschick mit Tastatur und Controller, um das ein oder andere Spiel zu knacken musste man sogar trainieren und immer wieder von vorne anfangen. Wie im echten Leben 🙂

Du siehst, wenn es um alte Spiele geht, könnte ich noch lange so weiter schreiben. Aber zum Glück geht es hier ums Nähen und nicht ums Zocken. „Verspielt“ ist hier nämlich eigentlich nur der Stoff.

Das Material

Dieses geniale Retrogaming-Muster gibt’s als Print-on-Demand bei Spoonflower. Ich hatte es dort spontan letzten Herbst entdeckt und war so begeistert, dass ich mir direkt 3m Baumwollpopeline damit bedrucken ließ. 

Auch wenn das Muster wundervoll ist, muss ich doch sagen: Augen auf bei der Stoffwahl auf Spoonflower! Für mich ist „Baumwollpopeline“ ein weicher Baumwollstoff mit ganz leichtem Fall. Perfekt für Blusen und Kleider. Spoonflower definiert das aber wohl etwas anders. 

Der bedruckte Stoff der bei mir ankam ist zwar leicht, aber durch die Farbschicht vom Drucken sehr steif und fest. Ich musste den Stoff zweimal waschen, um ihn wenigstens tragbar zu machen. Wenn Du also auch einen Stoff bei Spoonflower kaufen willst, empfehle ich für Kleider auf jeden Fall den „Cotton Sateen“, dieser Stoff ist wesentlich weicher und fällt schöner.

Das Material für dieses Kleid im Überblick

  • 3m Baumwollstoff Muster bei Spoonflower
  • Vlieseline G710 Gewebeeinlage in schwarz, passend zum dunklen Stoff
  • Nähgarn und passende Nadel für die Maschine
  • Reißverschluss, 50cm
  • ca 2m Bleiband 14g/m

Der Schnitt

Es dauert nicht mehr lange und ich habe alle Schnittvarianten aus „Gertie’s Ultimate Dressbook“ ** ausprobiert. Dieses Buch hat wahrhaftig mein (Näh-)Leben verändert! Die Schnitte darin passen einfach so gut zu meinem aktuellen Style und mir selbst passen sie auch gut. Und das Beste daran: Die einzelnen Teile sind untereinander beliebig kombinierbar.

Quelle: „Gerties ultimate dressbook“

Für dieses Kleid habe ich zum ersten Mal das „Surplice Bodice“ genäht. Bislang hatte ich mich nicht an diesen Schnitt herangetraut. Ich hatte Angst, bei einer größeren Oberweite würde vorne entweder die Brust rausfallen/rausquellen oder die überlappenden Teile würden am Ausschnitt abstehen. Aber dann entdeckte ich bei Pinterest diese Version des Kleids der Bloggerin SewnByAshley Sie bezeichnet das Kleid als „Six hour dress“, also „komplett genäht in  Stunden“. Außerdem ist sie auch eher kurvig gebaut und das Oberteil sitzt bombig, im wahrsten Sinne des Wortes. 

Bildquelle: http://sewnbyashley.com/mywardrobe/the-six-hour-dress-gertie-surplice-bodic-34-circle-skirt/

Also habe ich mir das „Surplice Bodice“ Schnittmuster aus dem Buch abgepaust und losgelegt.

Meine Anpassungen am Schnitt:

Ich war bei diesem Kleid außerordentlich mutig. Denn ich habe KEIN Probeteil genäht. Normalerweise nähe ich immer erst ein Probeteil für einen neuen Oberteil-Schnitt, aber dieses Mal hatte ich keine Lust. Deswegen habe ich direkt am Schnitt gearbeitet und meine Anpassungen gemacht, bevor ich es gleich aus dem „guten“ Stoff zugeschnitten habe.

Armlöcher anpassen:

Ich habe die Armlöcher ein paar Zentimeter größer gemacht. Bei Gertie-Schnitten sind diese meistens sehr eng bemessen. Das macht zwar eine tolle Figur, aber angenehm ist es nicht, wenn der Stoff unter den Achseln scheuert. Deswegen gab’s etwas Mehrweite dazu. Auch an den Belegen habe ich die Weite entsprechend angepasst.

Gelb markiert sind hier die Bereiche, die ich abgeschnitten habe.

Full Bust Adjustment?
Nach kurzem Nachmessen habe ich beschlossen, dass ich um die Brust herum noch etwas Mehrweite brauche. Aber wie macht man ein FBA bei einem in Falten gelegten Wickeloberteil?

Ich habe hier improvisiert. Wie bei einem gerade geschnittenen Oberteil habe ich durch den Abnäher Richtung Brustpunkt das Schnittmuster aufgeschnitten und zur Seitennaht hin, wo ich es sowieso verlängern wollte, zur Anpassung an meine Körpergröße. Dann habe ich den Schnitt einfach so weit auseinander geschoben, bis ich auf der Brustpunkt-Höhe die gewünschte Weite vorne hatte. Ich brauchte zum Glück nur 1,5cm Mehrweite, so dass neben der Verlängerung lediglich der Abnäher etwas größer geworden ist.

Gelb markiert sind hier die Bereiche, in denen Weite/Länge hinzugekommen ist

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Für den Rock habe ich den „Side Pleated Skirt“ verwendet mit zusätzlichen Nahttaschen. Den Schnitt hatte ich bereits von meinem grauen Wollkleid. Als der Schnitt dann endlich fertig war, ging es endlich ans Zuschneiden und Nähen

Ist dieses Kleid wirklich ein „6 hour dress“?

Diese Frage ging mir beim Zuschneiden immer noch im Kopf herum. Zum Glück hatte ich keinen Zeitdruck beim Nähen, so blieb mir Zeit, etwas Interessantes zu lernen, nämlich:

Warum das Oberteil vorne NICHT absteht:

Liest man die Nähanleitung, wird es offensichtlich. Dafür dass das Oberteil über der Brust schön anliegt, sorgen nicht nur Abnäher und Falten. Die obere Kante wird zusätzlich im Brustbereich eingereiht: Zwei parallele Nähte mit einem großen Stich sorgen dafür, dass der Stoff sich wellt. Später beim Verstürzen mit dem Beleg wird die Kante dann eingehalten, die Wellen im Stoff sorgen dann dafür, dass das Oberteil sich an der Naht entlang leicht nach innen stülpt. Gerade genug um nicht abzustehen. 

  • Eine kurze Anprobe bestätigte mir: Der Trick funktioniert. Dank der Anpassung an der Oberweite bleibt die Brust um Kleid und es steht auch nichts ab.

Der Rest vom Kleid war tatsächlich easy zu nähen. Das Oberteil habe ich nicht gefüttert, sondern lediglich mit einem Beleg an Ausschnitt und Ärmeln verstürzt. Als Reißverschlussvariante habe ich mir mal wieder einen „Lapped Zipper“ gegönnt, die Retrovariante des Reißverschlusses bei der dieser durch einen schmalen Stoffstreifen verdeckt wird.

Eigentlich hat es hinten nicht so viele Falten, das sieht nur so aus weil ich das Kleid auf dem Bild mit den Taschen komisch nach vorne ziehe…

Der Gürtel

Auch wenn das Muster fast keinen Raum mehr für Details lässt, wollte ich dieses Projekt nutzen, um mehr als nur einen neuen Schnitt auszuprobieren. Deswegen habe ich zum allerersten Mal eine Gürtelschließe bezogen und mir den passenden Gürtel zum Kleid dazu genäht

Wie ich das gemacht habe, erfährst Du demnächst hier, aber in einem eigenen Post. Meine Gürtel-Eskapaden würden den Rahmen dieses Beitrags sprengen 🙂

Wie man einen steifen Rocksaum zu schwingen bringt

Als das Kleid dann fast war, habe ich es brav 24 Stunden aufgehängt, um es „sich aushängen“ zu lassen, bevor ich den Saum umnähe. Bei einer Anprobe gefiel mir letzterer aber so gar nicht. Der Stoff war trotz mehrfachen Waschens noch recht Steif und der Rock hatte zwar etwas Stand, aber keinerlei Schwung. Gertie verwendet in ihren Anleitungen zuweilen Rosshaar-Einlage, um Rocksäume etwas schwingender zu gestalten. Diese ist bei uns in Deutschlang allerdings so gut wie gar nicht mehr erhältlich. Außerdem wollte ich meinen Saum ja nur schwerer und nicht steifer machen. Steif genug war mein Stoff ja schon. 

Also behalf ich mir mit einem Stück Bleiband, welches man normalerweise für Gardinen verwendet. Wie ich das in den Rocksaum eingenäht habe, beschreibe ich hier.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen 🙂 Durch den steifen Stoff sitzt das Oberteil super, der Rock schwingt aber nun schön beim Gehen und Tanzen mit.

„Verspielt mal anders“ – Zock‘ doch mal wieder!

Ich habe früher viel am PC oder der Konsole gespielt, in den letzten Jahren hat das aber ziemlich abgenommen. Zwischen Kind, Job und Nähhobby fehlt mir einfach die Zeit für stundenlange Zock-Sessions. Ab und an spiele ich gerne mal noch ein schönes RPG oder Adventure, mit dem ich dann Jahre beschäftigt bin, bis ich es mal durchgespielt habe.

Das perfekte Kleid zum Ausleben meiner Gamer-Leidenschaft aus der Vergangenheit habe ich jedenfalls jetzt. Und ich hatte jede Menge Spaß beim Fotografieren, wie man sieht 🙂

Ich bin sehr glücklich, dass ich diesen Schnitt endlich mal ausprobiert habe. Das „Surplice Bodice“ ist bei weitem nicht so schwierig zu nähen wie es aussieht und macht eine tolle Figur. Das Kleid selbst ist dank dem weiten Rock auch sehr bequem zu tragen, egal ob mit oder ohne Petticoat. Und die Taschen machen es zum perfekten Begleiter für alle möglichen Anlässe.

Ich verwende übrigens meinen eigenen Taschenschnitt, der Beutel ist so groß, dass mein Handy gut reinpasst. Die Pistole hat leider nicht rein gepasst 🙁

Mit dieser Variante habe ich nun fast alle Schnitte aus dem „Ultimate Dressbook“ schon durchprobiert und bin nachwievor von ihnen begeistert. Das Kleid macht echt eine Bombenfigur! O_O Ich trage übrigens auf den Fotos einen normalen BH drunter und keinerlei Shapewear. Das wird sicherlich nicht das letzte Kleid sein, das ich mit dem „Surplice Bodice“ genäht habe.

In diesem Sinne, „Game on“

Bis dahin
Eure Lasercat

Verlinkt beim MeMadeMittwoch und Lieblingsstücke

Nähsüchtig?

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